Vor
26 Jahren verschwindet in Vöcklabruck, Oberösterreich, die
17-jährige Martina Posch spurlos, 10 Tage später wird ihre Leiche
im Mondsee gefunden, sie weist Spuren eines Sexualverbrechens auf.
Daraufhin beginnt eine der größten Ermittlungsaktionen des Landes,
mehr als 2000 Personen werden befragt, aber der Täter wird nie
gefunden. Trotzdem ist der Fall 26 Jahre später noch immer im
Gespräch, die Bevölkerung stellt noch immer Mutmaßungen an,
Kindern und Enkelkindern wird die Geschichte weitererzählt, Bücher
erscheinen, neue Theorien tauchen auf und Zeitungen berichten über
angebliche Versäumnisse in der Vergangenheit genauso wie über
Parallelen zu heutigen Fällen. In den Köpfen der Menschen lebt der
ungelöste Mordfall Martina Posch als Mysterium weiter.
Die Vögel zwitschern, es ist ein warmer Frühsommertag und nur das vereinzelte Geräusch schlurfender Schritte auf dem Kiesboden stört die Stille. Ein friedlicher Ort. Immergrüner Efeu und ein Buchsbäumchen wuchern schon jahrelang ungestört vor sich hin, dazwischen hat irgendjemand in letzter Zeit ein paar Blümchen gepflanzt, unzerstörbare. Die rote Kerze in der traditionellen schmiedeeisernen Laterne ist schon lange nicht mehr angezündet worden. Hässliche rosarote, von Wind und Wetter stark mitgenommene Kunstblumen zieren eine ebenso massive Vase. Auf dem Grabstein stehen die Namen eines Ehepaares, das nach einigen gemeinsamen Jahren aus unbekannten Gründen hintereinander verstorben ist. Darunter ein anderer Name, der Name eines Mädchens, ihrer Enkelin, das nur 17 Jahre alt wurde: Martina Posch starb 1986 infolge eines Gewaltverbrechens, der Täter ist bis heute unbekannt.
Am 12. November 1986
verlässt Martina in Vöcklabruck/OÖ das Haus ihrer Mutter, um wie
gewohnt mit dem Bus zur Arbeit zu fahren, sie ist Lehrling in einem
Betrieb im benachbarten Attnang-Puchheim. Dort kommt sie nie an.
Nachdem sie um 6.40 aus dem Haus gegangen war, hat sie nie wieder
jemand lebend gesehen - außer ihrem Mörder. Der Freund Herbert B.
und die Mutter des Mädchens starten in den Abendstunden, als klar
ist, dass Martina nicht in der Arbeit erschienen war, eine
großangelegte Suchaktion, die Gendarmerie wird eingeschaltet. 10
Tage nach ihrem Verschwinden finden Taucher im Mondsee die halbnackte
Leiche des Mädchens, in Planen gehüllt. Die Tote fällt ihnen
geradezu in die Arme, war sie doch an der seichtesten Stelle des Sees
versenkt worden. Alles deutet darauf hin, dass sie einem
Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Gesicherte Spuren weisen
außerdem auf einen kühlen Zwischenlagerungsort hin, Reste von
Saatkörnern, Getreide, stützen die Theorie, dass es sich um eine
Scheune handeln könnte. Außerdem ergibt die Untersuchung der
Leiche, dass sie spätestens zwei Stunden nach Verlassen des
Elternhauses durch Erwürgen getötet worden sei.
Von diesen Fakten kann
man auch heute noch mit Sicherheit ausgehen, aber was in der Zeit vom
12. November, 6.40, bis zum 22. November passiert ist, darüber gibt
es wilde Theorien, viele Mutmaßungen, aber schließlich eine große
Ahnungslosigkeit, verbunden mit der Hoffnungslosigkeit, dass der
Täter in Ruhe alt werden wird, stirbt, ohne je für seine Tat
belangt worden zu sein.
In regelmäßigen
Abständen berichten Boulevardblätter wie die Kronen Zeitung wieder
über den Fall, decken angebliche Versäumnisse auf und schüren den
Glauben an eine Lösung des Falls. Es wird angeprangert, dass die
zwei Planen, in die das Opfer gewickelt war, verschwunden sind,
ebenso kehrte ihr Pullover nie aus dem Studio von Aktenzeichen XY
zurück. Angeblich erhielt das Landesgericht Wels nur einen Teil des
Aktenordners, den die Gendarmerie im Fall Martina Posch angelegt
hatte. 2008, als der Amstettener Inzestfall rund um Josef Fritzl
bekannt wurde, geriet der Fall Martina Posch wieder ins Interesse der
Medien und der Bevölkerung, weil die Fritzels zum Zeitpunkt der Tat
am Mondsee eine Pension betrieben hatten. Der Verdacht wurde geprüft,
aber genau wie den zahlreichen Verdächtigen vorher, konnte man Josef
Fritzl keine Verbindung zu dem Mädchen nachweisen.
Die tatsächlichen
Ermittlungsarbeiten von Manfred Schmidbauer, leitender Kriminalist im
Fall Martina Posch und jetzt Landesgendarmeriekommandant a. D.,
begannen mit 10 Tagen Verspätung, 10 Tage, die wie ein Geschenk für
den Mörder waren. Vorher konzentrierten sich die
Ermittlungen aufgrund falscher Hinweise darauf, dass Martina entführt worden, oder einfach von zu Hause ausgerissen ist, was man in ihrem Alter nicht für unwahrscheinlich hielt.
Ermittlungen aufgrund falscher Hinweise darauf, dass Martina entführt worden, oder einfach von zu Hause ausgerissen ist, was man in ihrem Alter nicht für unwahrscheinlich hielt.
Über 2000 Personen
wurden befragt, Anrainer, Freunde, Bekannte, Angehörige und auch
Pendler, die die Bushaltestelle passiert hatten, wurden als Zeugen
vernommen. Noch nie war in Oberösterreich großflächiger ermittelt
worden. Schon bald begann man aber den Kreis der Verdächtigen sehr
eng zu ziehen, der Täter wurde im Umfeld des Opfers angenommen,
jedoch ohne Ergebnis. Norbert Blaichinger, Journalist und Autor des
Buches „Mysteriöse Kriminalfälle aus Österreich“ mutmaßt,
dass diese frühe Fokussierung das Glück des Mörders gewesen sein
könnte. Er befasst sich in diesem Buch eingehend mit diesem Fall.
Aus Interesse, weil der Fall so Nahe bei ihm passiert sei und weil es
dabei um ein junges Mädchen geht, begann er sich mit dem Thema
auseinanderzusetzen und beschäftigt sich noch immer damit. Seiner
Theorie zufolge hatte sich Martina mit einem Unbekannten verabredet,
der sie eventuell schon vorher öfters zur Arbeit gebracht hatte, was
fehlende Busabrechnungen belegen würden. Der Unbekannte wurde dann
zudringlich, Martina wehrte sich und wurde im Affekt erwürgt. „Wenn
die Polizei aber der Theorie, die ich ihnen jetzt geliefert habe,
nicht nachgeht, dann ist es für mich zu Ende. Dann sehe ich keine
Chance mehr, noch weiter zu agieren.“ Eigentlich hält Norbert
Blaichinger den Fall noch für lösbar.
Auch Manfred Schmidbauer,
der damals, wie schon erwähnt, leitender Ermittler war und als
Oberösterreichs erfolgreichster Kriminalist bezeichnet wird, lässt
der Fall noch 26 Jahre danach nicht los. 179 Fälle konnte er in
seiner erfolgreichen Karriere aufklären aber einer, der Fall Martina
Posch, blieb ungelöst und beschäftigt ihn noch jetzt, in seiner
Pension. Manfred Schmidbauer hat sich auch an Norbert Blaichingers
Buch beteiligt und ist mit ihm die von verschiedenen Seiten
aufgestellten Theorien durchgegangen. „Einige sind wenig
wahrscheinlich, aber sie müssen gestellt werden, um objektiv und
neutral zu bleiben.“ Außerdem erhofft sich der Kriminalist a.D.,
dass der Täter durch solche Bücher und auch dadurch, dass der Fall
nicht in Vergessenheit gerät, verunsichert wird und einen Fehler
begeht.
Psychologen gehen davon
aus, dass das größte Problem an einem ungelösten Mordfall die
fehlende Klarheit ist. Wenn ich mich nicht mit den Tatsachen
auseinandersetzen kann, dann beginnt das Gedankenkreisen und die
Fantasien darüber, was gewesen sein könnte, sind noch grausamer als
die Realität. Andererseits sind Emotionen wie Zorn, Wut und
Aggression nicht zielgerichtet, wenn der Täter, auf den ich sie
richten kann, fehlt. Somit richtet sich die Wut ersatzweise gegen die
Welt an sich und es kommt zu einem Welthass, oder gegen einen selbst,
was über heftige Schuldgefühle bis zum Selbstmord führen kann. Auf
der Täterseite spielt der in der Psychologie essentielle Begriff der
Verdrängung die entscheidende Rolle. Um halbwegs integriert mit der
Schuld Leben zu können, muss der Täter die Tat verdrängen, was bis
zur Abspaltung führen kann, sodass er sich nicht mehr als Täter
sieht. Psychoanalytiker sehen die große Ungerechtigkeit darin, dass
Mörder sogar sehr viel besser mit ihren Taten leben können, als
alle anderen Beteiligten.
So wie Verdrängung immer
etwas mit Angst zu tun hat, ein Schutzmechanismus gegen die Angst
ist, so ist sie auch ein Grund für das Interesse der Bevölkerung an
einem ungelösten Mordfall. Ein solches Ereignis stellt eine
Bedrohung dar, gerade wenn es räumlich sehr nahe passiert ist, und
ist zugleich mit einem ähnlich großen Maß an Emotion verbunden wie
etwa eine Fürstenhochzeit. Schmerz und Freude als Extreme sind eine
willkommene Abwechslung im großteils monotonen Alltag des Menschen,
lautet der Befund der Psychologie.
Auch die Kriminalistik
legt einen ungelösten Mordfall nicht einfach ab und erklärt ihn für
beendet. Er wird zu einer sogenannten Cold Case Ermittlung, zu
Deutsch einem Verfahren der Schwerkriminalität, wie man es aus
amerikanischen Filmen und Serien kennt. Obwohl keine verwertbaren
Spuren mehr vorhanden sind, wird der Akt Martina Posch in
regelmäßigen Abständen von Spezialisten wie Kriminalisten,
Analysten und Psychologen auf neue Erkenntnisse hin bearbeitet.
„Auch wenn ich weiß,
dass es sehr unwahrscheinlich ist, den Täter noch zu überführen,
gebe ich die Hoffnung nicht auf“ betont Manfred Schmidbauer. Auf
die Frage, was ihn am Fall Martina Posch am meisten beschäftige,
antwortet er: „Der Umstand, dass ich mir sicher bin, mit dem Täter
bereits gesprochen zu haben.“