Donnerstag, 24. März 2011

meine mimose


 „Brüchig im Stil“, „Wie von einem 14-jährigen Schüler“, „Unterhaltsam, aber ohne literarischen Wert“. Ich zucke zusammen, als ob sie mich gemeint hätte. „Jeder kann etwas“, erinnere ich mich vom Professor in der ersten Stunde gehört zu haben, „und bei jedem ist es etwas Anderes“. Was mich angeht bin ich mir da nicht so sicher. In allem was ich kann, glaube zu können oder können könnte, sind andere besser. Auch im Schreiben. „Sie machen sich kleiner als Sie sind“, würde mein Therapeut dazu sagen, wenn ich einen hätte. So klein oder noch kleiner, als wenn ich mich ducke, um nicht gesehen zu werden, oder als wenn ich wie ein Kind bin, das zu den Älteren, den viel Klügeren, den Besten aufblickt.
Wenn sich auch noch ein Jemand als zusätzliche gewichtige Kritik auf meine Schultern setzt, dann schrumpfe ich um mindestens 20 cm. Wie eine welkende Blume, sacke ich dann zusammen. Nimmt mich aber jemand als und zur Bestätigung bei der Hand, zieht mich hoch aus meiner Duckhaltung, und gießt mich mit Lob, dann wachse ich, dann bin ich groß. Und genau so und eigentlich noch viel schlimmer ist es mit dem Schreiben. Weil das Schreiben so sichtbar, sofern man lesen kann, mein Inneres darstellt. Die Teile, die mir bekannt sind und vor allem die unbewussten, die unter der Oberfläche, der Großteil des Eisbergs, würde Freud sagen. Es kommt aus mir, es bin ich. Wenn man meine Texte, aneinandergereihte Buchstaben, Kringel und Schleifen und Striche, denen wir Symbolcharakter gegeben haben, liest, liest man mein Inneres. Und einen Angriff auf mein Inneres, kann ich wohl schlecht nicht persönlich nehmen, wo es doch das Persönlichste ist, das ich benennen kann, weil es das ist, was uns als Personen ausmacht und unterscheidet. Außer unserm Äußeren, aber das Innere ist meistens schöner. Das Schreiben ist also mein verletzlicher Punkt, der Schlüssel zu meiner Persönlichkeit, wo ich doch sowieso zur Mimose neige, einer am Wasser gepflanzten um genau zu sein, die etwas mehr Substral vertragen könnte. Oder um es positiv, realistischer auszudrücken: Leidenschaftlich bin ich. Emotional. Sensibel. Was mich, aber auch was andere betrifft. Wenn ich schreibe bin ich noch verletzlicher, es ist wie meine Achillesferse, nur dass ich kein antiker Held wie Achill bin und kein Feigenblatt Schuld ist an der Misere, sondern vermutlich ich ganz alleine. Meine Ferse trifft man sogar mit geschlossenen Augen und sie reagiert schon empfindlich, wenn man sie nur unabsichtlich streift.
Weil irgendetwas in mir hofft, dass das Schreiben, und mir fällt kein anderes Wort dafür ein, was es ist, das ist, was ich kann. Keine Ferse, ein Standbein. Ein stabiles Rückgrat. Wie eine wohlgekrümmte Fußsohle, auf der man einen angenehmen, geerdeten Stand hat, sich fast verwurzelt fühlt mit dem Boden.
Darum frage ich mich, ob gute Texte in der Schule reichen. Ob man auf einem Stapel aus 8 Jahren Schultexten stabil und geerdet stehen kann, wurzeln schlagen kann, wenn der Professor, der einen jahrelang gehalten und gestützt hat, nicht mehr da ist, um Händchen zu halten. Ein bisschen wackelig ist der Stand schon noch, weil es so viele Zettel sind und Hefte, und der Boden so steinig ist. Ob der restliche Textmisthaufen mein Gewicht, meine Ferse trägt, wird sich erst zeigen, wenn ich länger darauf stehen, wachsen muss. Wenn sich zu viele Jemands auf meine Schultern setzten, dann versuche ich sie abzuschütteln, probiere, ob sie abzuschütteln sind, ohne dass ich das Gleichgewicht auf meinem Schreibberg verliere. Oder ob meine Ferse getroffen wird dabei, ich schwanke und aufgebe, stürze, ein niedriger Fall, entwurzelt und auf den Misthaufen geworfen.
Meine Mimose. Mein Schreiben. Mein „Jeder kann etwas“. Ich möchte es eigentlich behalten. Es und die Aussicht von meinem Schreibberg, meinem Textmisthaufen. Die gefällt mir nämlich und darum will ich noch höher, größer werden, um die Ferne besser erkennen zu können. Und wenn ich dabei auf einem Bein stehen muss, ohne gestützt zu werden, dann lerne ich es eben. Das Fernweh ist einfach größer.

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