Mittwoch, 25. Mai 2011

I have a dream ... [oder DIE Rede ;) ]


I have a dream that one day this nation will rise up, and live out the true meaning of its creed: ‘We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal.

Ich bin nicht Martin Luther King, wir haben nicht den 28. August 1963, sind nicht in Washington und ich spreche nicht zu euch als Demonstranten. Wir sind nur Studierende  in irgendeinem Raum irgendeiner Universität irgendeiner Stadt irgendeines Landes irgendwo auf der Welt.
Trotzdem bitte ich euch, mir zuzuhören, denn es könnte vielleicht meine einzige Gelegenheit jemals sein, um zu sagen, was mir auf der Seele brennt.
Ich will mich nicht länger hinter meinen Texten verstecken, in denen es nur um mich, mein Leben und meine Probleme geht, zu gehen scheint. Oft habe ich die Befürchtung, dass es das ist, was wir, was viele Menschen tun, sich hinter Texten oder irgendetwas anderem zu verstecken, vor der Realität.
Was mich antreibt ist die Furcht, dass es Menschen, die mir wichtig sind, irgendwann einmal egal sein könnte, was mit dem Rest der Welt passiert, dass sie sich auch ducken, verstecken und verschließen vor der Wahrheit.
Wir wurden alleine in diese Welt geboren, wir werden auch alleine sterben, aber die Zeit dazwischen sind wir alle Teil einer riesigen Gemeinschaft, der Bewohner des Planeten Erde. Insofern tragen wir nicht nur Verantwortung für unser Leben, sondern auch für die Lebenswelt, die uns umgibt, und haben uns nach bestem Wissen und Gewissen so zu verhalten, dass nach uns noch eine lebenswerte Welt zurückbleibt. Vielleicht schaffen wir es sogar, einen kleinen Teil davon ein bisschen besser zu machen.
Ich bin keine Weltverbesserin, will kein Gutmensch sein, aber ich versuche jeden Tag ein so gutes Leben zu leben, dass ich sterben könnte ohne verzweifeln zu müssen daran, was ich niemals getan habe. Zumindest den Versuch will ich unternehmen, mich der Realität zu stellen, sie auszuziehen und bloßzustellen um sie von oben bis unten schutzlos zu betrachten.
Ich will niemals bereuen müssen, nicht menschlich gewesen zu sein.
Leider gibt es im Deutschen kein Wort wie das englische „human“, denn genau das meine ich, den physischen Tatbestand unserer biologischen Bezeichnung homo sapiens, der einsichtsfähige, weise Mensch. Wer uns diesen Namen gegeben hat, hat große Hoffnungen in unsere Spezies gesetzt. Als diese Kreatur haben wir genug Hirn und Seele mit auf den Weg bekommen, um über uns selbst nachzudenken, was nur sehr wenige andere Lebewesen können, vielleicht auch niemand. Das ist es, was ich also tun kann, um nichts bereuen zu müssen, über das Leben und mich selbst, mich Mensch und die Milliarden anderen Menschen, nachzudenken. So komme ich zu der Überzeugung, dass allein unser Menschsein darüber entscheidet, wie wir uns zu unseren Mitmenschen zu verhalten haben.
Ich bin gläubig, aber ich glaube nicht daran, was in meinem Religionsbekenntnis steht. Jede Art von religiösem Fanatismus halte ich für töricht, naiv, feig und letztendlich tödlich. Religion ermöglicht es uns, unsere Sterblichkeit nicht anzunehmen. Sie gibt uns Feindbilder vor und bekräftigt uns in der Meinung, die Menschen seien so wertvoll, dass es unmöglich sei, sie sterben zu lassen, ohne dass etwas von ihnen übrig bleibt. Noch, denkt ihr, weiß ich nicht wovon ich spreche, denn mein Leben wird hoffentlich dreimal so lange dauern, wie ich im Moment alt bin. Aber wieso sollte ich dann nicht einfach gehen, ohne dass es für die Welt von Bedeutung ist? Es zählt nur, dass ich existiert habe, was ich in meiner kurzen Lebenszeit gemacht habe und ob ich meine Chance genutzt habe.
Ich will niemals bereuen müssen, meine Existenz zu wichtig genommen zu haben.
Ich hoffe, dass eine Zeit kommen wird, in der jeder begreift, dass es nichts nützt, auf die Erlösung im Jenseits zu hoffen, weil es im Hier und Jetzt Probleme zu lösen gibt. Vor allem wir, die westliche Welt, die großartigen Weißen, wie wir uns so gerne nennen lassen, haben in ihrem Überfluss die Aufgabe, ihre überflüssige Zeit, nachdem ihre anderen Bedürfnisse sich fast wie von selbst erfüllen , damit zu verbringen, Menschlichkeit zu verbreiten.
Vor allem in den Religionen, in politischen Parteien und Verbänden sind immer Stimmen zu hören, die Menschen verurteilen, die doch genauso wie sie frei und gleich und ohne deren Schuld und Zutun in diese Welt, unsere Erde geboren wurden. Menschen wie Herr Gehring, der Pabst, Bischof Schwarz oder auch die Oberhäupter und Anhänger anderer Glaubensgemeinschaften sprechen sich das Recht von Gott dazu beauftragt zu sein, eine Gruppe für weniger wert zu befinden, weil sie anders denkt, anders glaubt, anders liebt oder anders lebt. Vielleicht gar, weil sie eine andere Hautfarbe hat. Sie glauben darüber bestimmen zu können, wie der Rest der Welt zu denken und zu glauben und zu fühlen hätte. Wir bauen Grenzen, damit uns diese anderen, diese Fremden im Geist und im Glauben ja nicht zu nahe kommen und uns nicht unsere eigene „Menschlichkeit“ zu Nahe vor Augen führen.
Ich glaube daran, dass jeder das Recht mit seiner Geburt erworben hat, frei im Denken zu sein, Zu lieben, zu glauben, zu leben und zu gehen wohin und wie auch immer er möchte. Mit der Einschränkung, dass er dabei immer „human“ bleiben muss und die Gleichheit der anderen nicht verletzen darf. Sobald ich einem andern die Menschlichkeit abspreche, verlier ich auch selbst das Recht, über ihn zu urteilen.
Ich will niemals bereuen müssen, mich, meine Existenz für wertvoller als die anderer Menschen genommen zu haben.
Diese, meine Ideale heißen neben Menschlichkeit, Gleichheit und Freiheit, Toleranz und Respekt vor dem Leben, dem Lebewesen, dem Mensch. Dazu kommen neben der Liebe und dem Respekt vor den andern Menschen noch die Selbstliebe und die Selbstbestimmung. Denn nehme ich dieses Leben an, sage ja zu ihm, will versuchen die mir gegebene Chance zu nützen und das beste daraus zu machen, sage ich gleichzeitig ja zu der Verantwortung, eigene Entscheidungen zu treffen. Verneine ich es allerdings, steht es mir auch frei zu gehen, wenn ich den Moment für günstig erachte. Dabei steht die Selbstliebe und der Wert des eigenen Lebens vor der Gesellschaft, denn das eigene Leben ist die einzige Freiheit die ich wirklich habe, sofern man überhaupt fähig ist diese frei und unbeeinflusst von einem Leidensdruck zu treffen.
Ich will niemals bereuen müssen, jemand anderen als mich für den Verlauf meines Lebens verantwortlich gemacht zu haben.
„Du bist nichts als das, was du lebst“ und „Man ist was man will“, hat Jean-Paul Sarte gesagt, und ich bin davon überzeugt, dass er Recht hatte. Ars Vivendi, nannten es die Philosophen der Antike, die Lebens- und letztendlich auch Überlebenskunst, samt „Bereitschaft, Fähigkeit und Willen, die eigenen Lebensumstände wahrzunehmen, zu verarbeiten und die Lebensführung im Rahmen der Möglichkeiten persönlich und gezielt zu gestalten“.
Du wirst sterben, du, du, du und ich.
Nachher wird sich die Erde weiterdrehen, in unsere leeren Augenhöhlen werden die Wurzeln von Radieschen wachsen, Unkraut wird aus unserem Hirn wuchern, oder Vergissmeinnicht. Vielleicht auch ein Bäumchen aus unserem Nasenloch.
Ich will niemals bereuen müssen, was von mir bleibt.
I have a dream …

Donnerstag, 19. Mai 2011

Endstation Zell.



[Die Fußnoten sollen dem besseren Verständnis dienen und versuchen bestmöglich spezifische Mundartausdrücke ins Deutsche zu übersetzen.]

„Zell am Pettenfirst ist eine Gemeinde in Oberösterreich im Bezirk Vöcklabruck im Hausruckviertel mit 1170 Einwohnern.“[1]
Davon sind 700 alt, beeinträchtigt und/oder dement, 300 verbraucht, auf dem Weg in Stadium 1 und 170, die noch die Chance hätten, abzuspringen. Die Zahl der Verrückten, Wahnsinnigen, Eigenbrötler, Außenseiter und Auswärtigen, Ausländer, ist konstant hoch, circa 100-200, je nach Wetterlage.
Irgendwo dazwischen bin ich.

Die Fläche von Zö[2], wie man hier sagt, beträgt 14 km², 33,8% der Fläche sind bewaldet und 58,1 % werden landwirtschaftlich genutzt, das ergibt 8,1% für durchschnittlich 84 Menschen pro km².
Es ist so eng, dass dir der linke und der rechte Nachbar vom Essen direkt in die Seele schaut, zu schauen glaubt. Die Erkenntnisse aus dieser Seelenbeschau werden auf ihre eigene Weise schneller verbreitet, als es Internet oder Handy je schaffen würden. Mundpropaganda. Tratschweiber. Alle haben sie zerfetzte Mäuler, jeder zerreißt jeden und die Jugend ist kein Stück besser. Ich auch nicht.
Über Liesels Krankheit weiß man zwischen Bäckerei, Kirchenplatz, Wirtshaustisch und Fußballplatz besser Bescheid als sie selbst, Josef hatte was mit Resi, der Schlampe, die könnte wiederum Bertha vergiftet haben, aus Eifersucht, weil die schwanger ist, vom Seppi, der doch a woama Hund[3] sein soll.
„In der Stadt lebt man zu seiner Unterhaltung, auf dem Land zur Unterhaltung der anderen“ hat Oscar Wilde angeblich einmal gesagt.

Heute Nacht habe ich geträumt, dass da Jaga[4] meinen Hund erschossen hat, weil der öfter davon läuft. In Zell herrschen andere Gesetze. Und mit ihren Wäldern, ihren Feldern, ihrem Wild und ihrem Hof kennen die Bauern und die Jäger keinen Spaß. Was sich da unerlaubt aufhält, wird beseitigt, Gift für die Marder, das die Katze dann frisst. Oder sie verliert eine Pfote, statt der Fuchs den Kopf.
Reden tut man in Zell nicht so gern wie handeln, im Handeln sind alle schnell. Aber wenn mir einer meinen Hund erschießt, kann ich auch schnell werden, hab ich mir vorgenommen.

Das Haus, in dem die Asylwerber, die Ausländer, gewohnt haben, ist abgebrannt. „Gschiagt erna recht“[5] will niemand gesagt haben, jeder war sofort zur Stelle um zu helfen. Die Zeller, die halten zusammen, spenden jedes Jahr Blut und für mindestens fünf Vereine, darunter auch die Feuerwehr.
Das sind nämlich tolle Burschen, selbst bumdialzua[6] rücken sie noch mit Blaulicht an und retten Leben. Gesellig sind sie sowieso immer. Sogar ein eigenes Seefest veranstalten sie. Schade eigentlich, dass die von Enten verschissene Schlammpfütze jetzt auch noch überbaut wurde, für neue Feuerwehrautos und Gemeinschaftsräume, z´wegn da[7] Geselligkeit, aber ein Seefest kann man ja immer feiern.

In Zell wird nämlich gerne gefeiert und viel, jede Gemeindezeitung und auch das Kirchenblatt sind voll von Veranstaltungen – mindestens eine pro Verein und Monat - man will sich ja nichts nachsagen lassen. Wer nicht säuft, säuft ab. Geht verloren, denn dabei ist nur, wer mitmacht. Mitmachen, das heißt bei einem Verein sein. Es gibt in Zell neben der Feuerwehr noch die Kleintierzüchter, den Tanz- und Singkreis, den Sportverein, die Musikkapelle, irgendwelche kleineren Kultur- und Theatergruppen, diverse politische Verbände, die Kirche samt ihren Unterorganisationen und seit Neuestem auch die Landjugend.

Deren Aufgabe ist es, Brauchtum und Traditionen, echte Werte zu vermitteln. Das funktioniert, indem man sich bei jeder unmöglichen und absurdesten Gelegenheit eine Tracht überwirft, sich hineinzwängt. Denn Dirndlkleider müssen so eng sein, dass man nicht mehr atmen kann, aber oben allerlei zum Vorschein kommt, was den Lederhosenträgern den Atem rauben soll. „Geile Depf hod de Oide“[8] ist die Belohnung für diese Mühen. Wenn dann der Lederhosenträger das Dirndl durch seine Wortzaubereien und Liebkosungen, eher aber durch Flüssiges in wahre Rauschzustände versetzt hat, darf er am nächsten Tag sogar mit einer Trophäe beim Frühschoppen im Wirtshaus angeben. Dann zieht er stolz die Lasche der Lederhose nach unten, auf der fünf Unterschriften seiner verehrtesten Herzallerliebsten der letzten Nacht eingraviert sind - zur Erinnerung, oder doch als Gedächtnisstütze? Die Suche nach dem richtigen Weib für Haus und Hof ist lang und beschwerlich. Wichtig ist nur, man hat welche.

Das besagte Wirtshaus, von dem gibt es eigentlich zwei, die sich gegenüberliegen, aber ein völlig verschiedenes Zielpublikum ansprechen, dazu kommen noch ein paar im Umland, sollte man einmal aus irgendwelchen Gründen nicht rechtzeitig den Weg ins Zentrum finden, vorm Durst. Durst hat man in Zell nämlich immer, am liebsten freitagabends und nach der Kirche, diese Spezialform wird Frühschoppen genannt.

Da trinkt der eine oder andere schon mal einen über den Durst, sei es damit die Frauen schöner, die Probleme kleiner oder die Schmerzen dumpfer werden. Man kennt sie, die Gewissen, aber ein Alkoholproblem hat hier niemand. Sie haben sich im Griff, trinken nur gegen den Durst, beim Fortgehen, und nur, weil heute so ein beschissener Tag war. Und wieder schläft A. auf dem Tisch ein. Rund um ihn wird weitergefeiert, so mancher hat bei Glücksspielen schon seinen Hof verloren, früher natürlich. Beim Krotzen[9] und Tarockieren[10] geht es immer noch um alles. Die Ehre.

Hie und da geht man dann doch noch aus, fuatgeh,[11] wer noch kann, man will ja nicht in der Provinz versumpfen. Es fällt allen schwer, sich zwischen manchmal bis zu drei Locations, Lokalen, Festln[12], Parties zu entscheiden. Eigentlich ist es egal, wo man Kopf und Bauch vergiftet, die Jugend der umliegenden Metropolen trifft, über die Arbeit und die Ungerechtigkeit des eigenen Lebens jammert und wiederum die Herzensdame sucht. Bier gibt ´s überall.

Dann gibt es noch die, die nicht einmal die kleine Außenwelt der nächsten Bar noch interessiert, weil sie ihre Zukunft schon geplant haben. Über Optionen haben sie nie nachgedacht, die einzige Option heißt Endstation Zell. Arbeit, Mann, Hochzeit, Haus, Kind, Enkel, Friedhof. Der Zug fährt spätestens mit 20 ab, Ankunft und Abfahrt hier, bei uns, alles inklusive. Mit dem Richtigen fürs Leben muss man sich nicht mehr unters Partyvolk schmeißen, nicht mehr arbeiten gehen, nicht mehr Zeitung lesen, nicht mehr in die Ferne schweifen und denken hat man sowieso schon lange aufgegeben. Wer einmal zusteigt, die Türen schließt und abfährt, kommt garantiert an.
Die Scheidung, die gibt es in Zell noch nicht, nur unter Zuagroasten,[13] Neimodernen,[14] Zecken[15] oder dergleichen ungläubigem Gesindel. Hier ist die Ehe wirklich noch ein Bund fürs Leben. Die zweite Liebe bleibt nur Affäre, wer 50 Jahre den Schein wahrt, wird bewundert und gefeiert. Goldene Hochzeit. Vor allem die Jugend hält Traditionen wieder hoch.

Auch die Tradition des sonntäglichen Kirchengangs, die sozusagen eine Bürgerpflicht ist, selbst wenn man direkt vom letzten Bier in die letzte Bank fällt, und hier seine erste Stunde Schlaf erwischt. Man war da, ist sicher und behütet, wird geweiht und gehört zu den Guten. Die Guten erkennt man an dem Heiligenschein, der sie begleitet, beim Scheißen, beim Anschreien, beim Masturbieren, beim Hintreten, beim Missbrauchen, beim Bumsen[16] und beim Fremdbumsen. Beim Maulzerreißen sowieso.
Sein Glanz kann noch aufgewertet werden, indem man sich zu freiwilligen Tätigkeiten im Verein meldet. Man kann singen, lesen, musizieren oder Geld eintreiben, jeder was ihm liegt.
Damit die Kleinsten auch schon verstehen, wie toll der richtige Glaube ist und wie nett der Jesus zu uns war, obwohl ihm niemand je begegnet ist, wird schon im Kindergarten das erste Mal gebeichtet, aus der Bibel vorgelesen, gebastelt für den Herrgott und zu diversen Festen Blumen gestreut. Die ganz braven Mädchen dürfen bei den Goldhauben mitgehen und Ministranten wollen so bald und so lange wie möglich alle sein. Natürlich nur wegen dem Glauben, nicht wegen dem Kleingeld.
Nur die Ausländer aus dem abgebrannten Haus nicht.

Das habe ich gedacht, bevor ich nach Wien ging, konnte es kaum erwarten zu entkommen. Das Entkommen hielt ich für die leichteste und selbstverständlichste Sache der Welt, einfach alle Brücken sprengen und etwas Neues aufbauen.
Unabhängig, stark, selbstbewusst, reif und superlässig, gechillt und alternativ ist die Studentenszene in Wien, genau so wollte ich sein. Kein Landei sondern eine Frau von Welt, und dazu passte die Adresse nun einmal nicht.
Ich gebe oft noch lieber die Wiener Adresse an, aber wenn mich jemand fragt, wo ich wohne, ist meine Antwort mittlerweile klar. Eigentlich wusste ich es immer.
Die Zuagroaste, die im Alter von sechs Jahren in dieses 1200 Seelen Dorf mitten im Hausruck, mitten im Nirgendwo, kam, vom Stadtrand aufs Land, hat genau diesen Ort sehr lieb gewonnen. Die Zuagroaste bin ich wahrscheinlich noch immer, „wem gherstn du o“[17] höre ich des Öfteren, manchmal ärgere ich mich. Aber irgendwie mag ich sie alle, auch die komischen Käuze, die Menschen, bei denen man sich nicht sicher ist, von welchem Tier sie abstammen, die Nachkommen der großen Sippen, die sicher auch wegen Inzucht (nicht nur in der Vergangenheit) alle denselben Namen tragen. Auch die gescheiterten Existenzen, denn jeder gehört mindestens ein Mal im Leben zu ihnen.
Wien ist der Abstand, den ich gebraucht habe, um zu wissen, was eine Hauptstadt ist und was Heimat bedeutet. Ein Begriff, den ich nie verwenden wollte, weil er für mich so politisch ist.
Heimat kann überall sein, ein Stück davon in Wien, ein Stück habe ich überall dort gelassen, wo ich schon war, auf Reisen und bei Abenteuern, ein Stück ist in meinen Freunden und meiner Familie, eines beim Pferd im Nachbarort und eben auch ein Stück dort am Land, in Zell am Pettenfirst, meiner Hauptstadt.
Eine Hauptstadt ist nämlich ein Zentrum, sagt Wikipedia, und wenn ich in Vöcklabruck den Zug verlasse, ins Auto steige und noch 8km fahre, dann kenne ich jede Katze und jeden Baum, fällt mir jedes neue Haus auf und auch das kleinste Plakat am Straßenrand.
In Zell kümmert man sich zu viel darum, was im Leben des Nachbarn passiert, aber man kümmert sich darum, während andernorts Herr Müller von Stock 4 drei Wochen lang unentdeckt in der Wohnung liegt, in seinem Blut.
Mittlerweile gehe ich selbst freitags zum Stammtisch der Dorfjugend, weil ich nicht nur die kunterbunt vielfältigen Menschen, die mindestens so bunte Hunde sind, wie in der Stadt, auch die oberflächlichen, sinnleeren und verblüffend tiefgehenden Gespräche und die bierschwangere, Bradlfett[18] schwitzende Atmosphäre mag. Ich bin ein Teil davon.
Und wenn mir alles trotzdem zu viel wird, mich ein Ekel überkommt und die Wände immer enger zu werden scheinen, dann bin ich immer noch eine der Glücklichen, die einen Fluchtweg hat. Ich steige in den Zug nach Wien, steige dort aus, bin frei und genieße es, zu tun und zu lassen, ohne Rechenschaft abzulegen, gegenüber niemandem - auf Zeit.

Ich weiß nicht immer wohin der Zug fährt, den ich nehme, in welchen Bahnhöfen er hält und wo ich um- oder aussteige.
Zell am Pettenfirst ist bestimmt nicht meine Endstation, aber es wird immer meine Abfahrt sein.


[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Zell_am_Pettenfirst
[2] = Zell
[3] = ein Homosexueller
[4] = Jäger
[5] = Das geschieht ihnen recht!
[6] = sehr betrunken
[7] = wegen der
[8] = Die Frau hat schöne Brüste.
[9] = ein Kartenspiel
[10] = Tarock spielen
[11] = ausgehen
[12] = Zelt- und Hallenfeste, die in dieser Gegend sehr weit verbreitet sind
[13] = Zugezogene, nicht in Zell Geborene ohne Zeller Stammbaum
[14] = „Neumoderne“, das Gegenteil von Konservativ-Traditionellen
[15] = meistens Grünwähler, oft Dreadlocksträger, Alternative
[16] = miteinander schlafen, vulgär
[17] = zu welcher Familie gehörst du, wo ist dein Stammbaum?
[18] = Bratenfett, Bratfett

Was ist der Sinn?



Die kreative Energie ist für heute verbraucht. Meinen Hauptstadttext habe ich vollendet und bin sehr zufrieden, ja, er gefällt mir immer besser. Ob ihn jeder verstehen wird können, weiß ich nicht, aber er trifft. Die Menschen die er betrifft, trifft er hart und dafür möchte ich mich entschuldigen. Das musste einfach sein.

Genau deswegen sehr ich es auch nicht ein, wieso ich nicht ICH schreiben sollte. Es sind meine Texte, meine Gedanken, meine Tagebucheinträge. Nichts ist verwerflich daran, anderen einen kleinen Einblick in sein Hirn zu gewähren. Wenn das nur in Bildern möglich ist, dann soll es so sein, oder kannst du etwa ohne Vergleiche anzustellen, die Vorgänge deiner Seele, geschweige denn deines Hirns beschreiben? Ich bin keine Biologin, ich kann es nicht. Mein Mittel, meine Waffe (oh nein, ein Bild) ist die Sprache, eine andere habe ich nicht.

Ich finde es sollte sich niemand angegriffen fühlen, wenn er Dinge aus dem Leben anderer hört, sondern eher geehrt. Es gehört für mich sehr viel Mut dazu, so ehrlich über seine Herkunft oder seine derzeitige Situation, auch über seine Wut oder Enttäuschung zu schreiben wie viele es hier machen. Alles, wirklich alles, hat seine Berechtigung. Dass es dabei darum gehen soll, wer die buntesten und abstrusesten Bilder einbaut, will ich nicht akzeptieren.

Wir kommunizieren, richtig, das haben wir letzte Woche festgestellt. Willst du nicht mit anderen kommunizieren, dich alleine durch s´Leben schlagen, dann tu das eben, aber du wirst etwas verpassen.
Es bleibt dir nichts von Dingen, die du besessen hast, sie werden dich nicht vermissen, wenn du die Radieschen betrachtest, aber die Menschen, die du berührt, beeindruckt oder auch verwirrt hast, du bist ihnen in Erinnerung geblieben. Nichts sonst zählt.

Ja ich übertreibe, immer.

Ich denke ich werde Psychologie inskribieren, genau das habe ich mir in den letzten Wochen überlegt. Weil wir nur ein Leben haben, nur eine Chance, und für mich gehört es dazu, das zu tun, was man tun könnte, aber zweifelt, ob es richtig ist.

Richtig ist es, so viel wie möglich wissen über das Leben mitzunehmen, und weil ich eben keine große Naturwissenschaftlerin bin, will ich etwas über die Seele lernen. Sich mit Texten zu beschäftigen ist schön, aber im Grunde haben sie auch sehr viel mit dem Innersten der Menschen zu tun.
Ja, ich bin Romantikerin. Und Realistin. Und eine Träumerin. Und Denkerin. Aber alles was ich will, ist am Ende gehen zu können. Weil es gut war. Weil ich nichts verpasst habe. Weil ich etwas hinterlassen habe. Und weil ich glaube den Sinn gefunden zu haben.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Kleine Rede über uns.


Es ist Donnerstag, 12.42, und ich habe noch keinen Text, den ich abgeben könnte. Ein Problem, angesichts der Tatsache, dass ich letzte Woche schon gestreikt habe, weil ich den Test und die Rede für bedeutungsvoller empfunden habe, als mir schnell einen Text, eine Glosse (was auch immer das ist habe ich noch immer nicht herausgefunden) aus den Fingern zu saugen.
Saugen ist eigentlich das falsche Wort, eine inkorrekte Metapher, denn ziehen tut gar nichts mehr, seit es Computer gibt.
Einen Text schlägt, drischt, tippt, hämmert, klopft man sich aus den Fingern, in die Tasten, mit jedem Anschlag stärker und manchmal völlig taktlos und unregelmäßig, weil die Gedanken langsamer sind als der Takt(an)schlag sein sollte, damit was entsteht auf dem leuchtenden Viereck.

Aber meine einschlagenden Gedanken schweifen schon wieder ab. Eigentlich wollte ich über den Donnerstag Abend vor den Ferien schreiben, als ich mich mit zitternden Knien, die mich kaum tragen wollten, trockenen Augen, dass die Linsen sich so fest auf den Augapfel klebten, bis der Text und die ganze Klasse gemeinsam schwimmen gingen, und letztendlich der eh schon bekannten Versagensangst an dieses seltsame Holzklappbrett stellte. Als ich nach 20 Minuten, 3 Litern Angstschweiß und 2 Kilometern Weg endlich ankam war ich sowieso schon viel zu spät um noch länger darüber nachzudenken was ich da eingentlich tat. Also fing ich einfach an. Den Moment, in irgendetwas das entschieden hatte, habe ich dabei verpasst.

Ich will noch ein wenig von dieser Versagensangst reden.
Denn heute habe ich endlich einmal meine Faulheit überwunden und mich ein wenig in den Textberg in meinem digitalen Briefkasten eingegraben. Man stelle sich das in etwa so vor, wie bei Dagobert und seinen Münzen, die sehen auch alle gleich aus, er kann sie nicht mehr auseinanderhalten und doch liebt er sie alle. Also habe ich versucht sie endlich alle zu würdigen, zu sortieren, zu sammeln und zu ordnen, was nicht so einfach ist, wenn jede E-Mail mit dem vielsagenden Titel „text“ bezeichnet ist.
Dabei bin ich auf so manche Schätze gestoßen. Das Antimärchen zum Beispiel, ich werde es lieben, nein, ich liebe es schon und werde ihm treu bleiben. Es erinnert mich an einen Text von mir, der eigentlich noch kein Text ist, sondern nur ein Gedanke auf einem Schmierzettel und viel mehr noch in meinem Kopf.
Er handelt von zwei Menschen, die sich voller Gier aufeinander am Ende auffressen.
Mir gefällt das. So muss eine Geschichte enden. Nicht so scheißverdammt romantisch verklärend, wie in den Märchen und Hollywoodfilmen, die uns als Kinder schon völlig falsche Vorstellungen eingeimpft haben (im wahrsten Sinne des Wortes, so wartete der Piekser meines Arztvaters gegen hinterhältige Zeckenangriffe, die bei Landkindern recht regelmäßig und üppig ausfallen, immer während die Schwanenprinzessin nebenbei über den Flimmerkasten turtelte, damit ich nicht sofort die Flucht ergriff und meinem Papa die Szene und das hinterher jagen durchs Stiegenhaus erspart wurde).
Jedenfalls habe ich mit meiner Geschichte noch nicht begonnen, aber seit ich „Ereignisse“ von dem Mann, bei dem man Vor- und Nachnamen nur schwer auseinanderhalten kann - falls er einem nicht schon in der Schule begegnet ist - gelesen, verschlungen habe, weiß ich, wie Kurzgeschichten, falls man diese Form so bezeichnet, ausschauen müssen. Sollte ich einmal etwas ähnlich grässlich morbides skurriles sarkastisch grauslig groteskes produzieren kann ich getrost sterben gehen.
So ein Blödsinn.

Aber zurück zu der Rede, den Texten. Eigentlich wollte ich ja noch etwas zur Versagensangst schreiben, über die Frau Liedauer mir ebenfalls vor etwa einer Stunde beeindruckend und doch beklemmend nahegetreten ist, im besten Sinne. Sie hat einen Punkt berührt, den wir alle kennen. Das Verlangen nach Anerkennung. Und genau wegen diesem konnte ich nicht kneifen. Ich wollte dieser Donnerstagabend-Gruppe, von der ich so viel halte und die ich fast alle für sehr viel talentierter halte als mich, zeigen, dass ich auch etwas kann. (Natürlich wollte ich es in erster Linie meinem alter ego, das gerade Bestätigung sucht, zeigen, aber das kann sich jeder selber denken.)
Dass ich diese Rede nicht so schlecht spielen kann und nicht nur die Ruhige, Schüchterne bin, die glaubt sie müsse gute Texte produzieren. In Wahrheit halte ich mich nämlich für ziemlich laut, aber bis ich laut werden kann, müssen die Luftbedingungen stimmen, die Umweltweinflüsse passen und letztlich auch die Lichtverhältnisse. Am wichtigsten aber ist, dass ich das Gefühl vermittelt bekomme, dass mich die anderen 30 Blicke nicht auffressen werden und ich ein Tiger im Käfig bin, den man mit Respekt betrachtet, und kein Äffchen mit Trommel in der Hand.

So habe ich also meine Rede hinausgebrüllt, mich aufgerichtet und gezeigt dass ich auch da bin.

Und umso besser gefiel es mir dann noch, dass dieser Übungsleiter anscheinend wirklich einen gruppendynamischen Plan verfolgt und diese Texte doch eigentlich nur Vorwand sind für die viel wichtigeren Dinge im Leben.
Für das Leben.

Donnerstag, 7. April 2011

..ein ganz normaler Uni-Tag:

Wie wild im Hof im Kreis jagende Horden von (Kindergarten-?)Kindern, die Schnitzel jagen. Oder Rätsel. Oder so ähnlich. Ein Rollrasen rollender Gärtner, der feuchtfröhliche Anschläge auf Studenten verübt, die ihrerseits versuchen rätselhafte Dinge einem konfusen Text über die extrem spannende Geschichte der Biografie zu entlocken. Und abends ein Schweiß und Blut in Texte rührender Professor, dessen theatralische Ausführungen über den Tod der Rhetorik von den kunstvollen, alkoholschwangeren Klängen der Steiermarker übertönt werden, was die Dramatik bis zum leicht psychopathischen Lachen der Versammelten steigert. Nicht zu vergessen die umsonst vorbereitete Handke Rede an den Aufsichtsrat, die Schweiß und Spiegel und Angst gekostet hatte, um jetzt wieder in der Versenkung zu verschwinden. Zuletzt ein Text, der erstmals nicht mit dem allerhöchsten Preis des markerunterlegten Verweises um die Bitte nach dem Zumailen versehen war, sondern nur den Stempel "Version 1" trägt. Irgendwo in der Mitte stand eine Facebook-Prophezeiung: Sie werden heute enttäuscht werden. Self-fullfilling prophecy, nennt die Psychologie das. Ich nenn es einen extrem seltsamen Tag, den nur noch eine ordentliche Portion Konzepterstellung normalisieren kann. Und die schreienden, sorglosen, komplett normalen Studenten von nebenan. Na dann gute Nacht.

Dienstag, 5. April 2011

W I R

Eigentlich wollte sie diese Woche rebellisch sein. Sie wollte keinen Text abgeben, sich das einfach mal gönnen, keine Gedanken machen und sich stattdessen mit der Rede beschäftigen.
Die Rede, die hatte sie sich nämlich freiwillig noch zusätzlich aufgehalst, wie sie leider viel zu spät beim Blick in den überquellenden Kalender, der ihr ja des Öfteren das Ersatzhirn spielt, feststellen musste, festgestellt wurde, denn es passierte mit ihr, ohne dass sie sich wehren konnte.

Wenn sie nämlich etwas angenommen hatte sah sie das als Kampfansage, als Aufforderung zum Duell, am liebsten geistig, aber da sind die meisten unbewaffnet, hatte sie einmal gehört. Dann eben mit Taten, und weil sie so gern tut, nimmt sie eben jede Kampfansage an.
Meistens von ihr selbst, mit ihr selbst und gegen sie selbst muss sie kämpfen. Hannah1 gegen Hannah2, Hannah3 gegen Hannah2, Hannah7 gegen Hannah13 und umgekehrt und wieder zurück und das dauernd und lebenslang, wahrscheinlich. Aber irgendeine davon wird immer stärker und so kommt es, dass ihr das kämpfen nie langweilig wird.

Jetzt bin ich abgeschweift denn eigentlich ging es ja um ihre Rede. Die empfand sie jedenfalls im Nachhinein als eine ganz blöde Idee. Nicht die Rede, aber das Aufhalsen. In genau dieser Woche, musste sie das machen, wo sie doch eigentlich hinsichtlich ihres Kalenders und Denkens und Jammerns schon komplett ausgefüllt war mit diesem Konzept, dieser Hausübung und jener, und dazwischen noch der Rede.
Darum wollte sie diesen einen Kampf auslassen, den gegen die Text-Hannah, die mit der Glosse, dem Tagebuch, und so schnell konnte sie gar nicht hinterher schauen, kämpfte die Konzept-Hannah gegen die Text-Hannah und die mit der Glosse, dem Tagebuch, gewann.
Darum sitzt sie jetzt hier und schreibt und schreibt und ihre Finger, mit denen sie sich ebenfalls erfolglos duelliert hatte, können und wollen aufgrund des glorreichen Sieges gar nicht mehr zu schreiben aufhören.

Jetzt mischt sich aber plötzlich die mit den Absätzen ein.
Sie kennen sich erst seit kurzem, einer Woche oder so, der Professor hat sie vorgestellt.
Und schon hatte sie, ohne jegliches Training, einen Kampf gewonnen.

Und sollte sich irgendjemand wundern, wohin Times New Roman verschwunden ist, dann gebe ich ihnen nur den Hinweis, dass Courier-Hannah und Hannah 1 bis 737 sich ganz gut verstehen, gemeinsam trainiert haben, und Times New Roman so erstmals hinterlistig geschlagen haben, wobei sich diese feige Sau, äh Schrift, nahezu kampflos verkrochen hatte. Wieder hinein in ihre Word-World um sich etwas zu stählen, Argumente zu stemmen und irgendwelche Diskussionen zu werfen, um wieder in Form zu kommen.

Egal welche Hannah jetzt die war, von der eigentlich wortwörtlich die Rede sein sollte, wird wohl die Rede das nächste Thema werden, denn die schreibende Hannah wurde besiegt.
Von ihr, mir, ich meine:  Uns.

Donnerstag, 31. März 2011

rosarote seifenblasen


 Ich bin nicht lustig. Und ich will auch nicht lustig sein. Nicht in dem, was ich schreibe. Und außerdem will ich nicht immer ich schreiben. Sagen wir einfach sie. Sie ist die Person, um die es gehen soll.
Sie erinnert sich also, dass sie die Donnerstag Nachmittag Vorlesung waghalsiger Weise einfach ausgelassen hat. Mit ihrem Gewissen war das gut vereinbar, weil sie sich nach 2,5 Schmerztabletten jetzt doch nicht nur körperlich sondern auch mental etwas beeinträchtigt fühlte. Trotz Beeinträchtigung, trotz Schmerzen musste es noch Bewegung sein. Die Stimmung stieg aber, aufgrund der ebenfalls in Bewegung gebrachten Endorphine, und kühn wie sie war, tippte sie wenig später in ein kleines Chatfenster einer Person, der sie doch nie wieder schreiben wollte. Sie wollte, dass die Person IHR schrieb, was einen gravierenden Unterschied nicht nur für sie, sondern für diese Menschengruppe im Allgemeinen bedeutet. Also sitzt sie da, wirft ihre Vorsätze mit den Schmerztablettenverpackungsresten in den Müll und verliert sich ganz in unbeabsichtigt getippten Wörtern, Sätzen, Scherzen und Neckereien. Was sich liebt, das neckt sich, trifft hier keineswegs zu, behauptet sie. Und doch kommt es, dass sie, benebelt, gar betäubt von den Pharmazeutika, keineswegs von rosaroten Seifenblasen, die ihren Hohlraum auszufüllen drohen, im Unterbewussten die doch so wichtige Germanistik Übung nach hinten verschiebt.
Nachdem sie sich endlich von der blinkenden, laut surrenden Kontaktmaschine getrennt hat, getrennt wurde, steht diese besagte sie also ganz pünktlich um 18.57 an der Bushaltestelle. Da quetscht sich durch eine kleine Ritze zwischen zwei Seifenblasen, möglicherweise war eine schon wieder zerplatzt, das Unter-, das Pflichtbewusste. Es zwang sie, einen kleinen Kontrollblick in den für das chaotische und dauerhaft überlastete Studentenhirn eigens angelegten, Notfall, Erste Hilfe sowie Überlebenstraining geprüften Timetable eines namhaften Radiosenders und Festival - Veranstalters zu werfen.
Und ihre eigenen krakeligen Buchstaben und Ziffern und Striche und Farbigkeiten führten ihr ihre Prioritäten, die aus dem Unterbewusstsein ausgebrochen waren, so klar vor Augen, dass sie sie völlig unklar mit Dummheit abtat. So machte sie das immer. Das ist für alle Mitmenschen verständlich, und bedarf keiner tiefgreifenden Erklärungen ihrer emotionalen Berg und Tal Landschaft, die die meisten Flachländer nicht leiden und auch nicht hören können.
Nachdem sie sich also 30 Minuten vollkommen unnötig mit ihrer Dummheit beschäftigt hatte, derweil von den netten Buschauffeuren und U-Bahn Lenkern oder wie sie auch immer heißen, ganz ohne ihr geistiges oder körperliches Zutun direkt vor die Universität Wien gekarrt wurde, auf rätselhafte Weise sogar bis vor den Übungsraum 4 gelangte, schaltete sich das Berg und Tal Hirn wieder ein und ließ das Herz in die Hose sacken. 30 Sekunden hatte sie circa, um sich einen Schlachtplan für ein unauffälliges, korrektes und ja nicht autoritätskriechendes Auftreten zu überlegen, als sie sich schon in Reihe 1 auf ihren Sessel fallen ließ und die Jacke irgendjemand schon für sie abgelegt hatte.
Endlich alle Gedanken vertrieben und ganz  in diesem Raum angekommen bemerkte sie, dass diese Stille nicht von ihr, sonder von allen anderen auszugehen schien. Geschlagene 65 Minuten lang sprach fast niemand außer er, der Professor, trotz allem Widerstand gegen diese, seine Rolle: die Autorität. Und am Ende steht sie vor der Universität, weiß wieder nicht wie sie dorthin gekommen ist, hält zwei Zettel mit dem Vermerk „bitte zumailen“, der laut der ersten Einheit höchsten Auszeichnung, in der Hand, und fühlt sich alles andere als ausgezeichnet. Jetzt ist sie noch verwirrter und wünscht sich wieder eine angenehme Betäubung, einen Schleier, einen rosaroten Nebel herbei. Und jemanden auf der anderen Seite einer blinkenden, laut surrenden Kontaktmaschine, der Wörter, Sätze, Scherze und Neckereien in diese hineintippt, um dem rosaroten Seifenblasennebel in ihrem Hohlraum wieder eine angenehm betäubende Dichte zu geben …

Nach einigen gezielten Stichen mit einem großen, langen, scharfen Messer bleibt keine von den rosaroten Seifenblasen übrig. Die Sicht ist schmerzhaft klar geworden.

Donnerstag, 24. März 2011

meine mimose


 „Brüchig im Stil“, „Wie von einem 14-jährigen Schüler“, „Unterhaltsam, aber ohne literarischen Wert“. Ich zucke zusammen, als ob sie mich gemeint hätte. „Jeder kann etwas“, erinnere ich mich vom Professor in der ersten Stunde gehört zu haben, „und bei jedem ist es etwas Anderes“. Was mich angeht bin ich mir da nicht so sicher. In allem was ich kann, glaube zu können oder können könnte, sind andere besser. Auch im Schreiben. „Sie machen sich kleiner als Sie sind“, würde mein Therapeut dazu sagen, wenn ich einen hätte. So klein oder noch kleiner, als wenn ich mich ducke, um nicht gesehen zu werden, oder als wenn ich wie ein Kind bin, das zu den Älteren, den viel Klügeren, den Besten aufblickt.
Wenn sich auch noch ein Jemand als zusätzliche gewichtige Kritik auf meine Schultern setzt, dann schrumpfe ich um mindestens 20 cm. Wie eine welkende Blume, sacke ich dann zusammen. Nimmt mich aber jemand als und zur Bestätigung bei der Hand, zieht mich hoch aus meiner Duckhaltung, und gießt mich mit Lob, dann wachse ich, dann bin ich groß. Und genau so und eigentlich noch viel schlimmer ist es mit dem Schreiben. Weil das Schreiben so sichtbar, sofern man lesen kann, mein Inneres darstellt. Die Teile, die mir bekannt sind und vor allem die unbewussten, die unter der Oberfläche, der Großteil des Eisbergs, würde Freud sagen. Es kommt aus mir, es bin ich. Wenn man meine Texte, aneinandergereihte Buchstaben, Kringel und Schleifen und Striche, denen wir Symbolcharakter gegeben haben, liest, liest man mein Inneres. Und einen Angriff auf mein Inneres, kann ich wohl schlecht nicht persönlich nehmen, wo es doch das Persönlichste ist, das ich benennen kann, weil es das ist, was uns als Personen ausmacht und unterscheidet. Außer unserm Äußeren, aber das Innere ist meistens schöner. Das Schreiben ist also mein verletzlicher Punkt, der Schlüssel zu meiner Persönlichkeit, wo ich doch sowieso zur Mimose neige, einer am Wasser gepflanzten um genau zu sein, die etwas mehr Substral vertragen könnte. Oder um es positiv, realistischer auszudrücken: Leidenschaftlich bin ich. Emotional. Sensibel. Was mich, aber auch was andere betrifft. Wenn ich schreibe bin ich noch verletzlicher, es ist wie meine Achillesferse, nur dass ich kein antiker Held wie Achill bin und kein Feigenblatt Schuld ist an der Misere, sondern vermutlich ich ganz alleine. Meine Ferse trifft man sogar mit geschlossenen Augen und sie reagiert schon empfindlich, wenn man sie nur unabsichtlich streift.
Weil irgendetwas in mir hofft, dass das Schreiben, und mir fällt kein anderes Wort dafür ein, was es ist, das ist, was ich kann. Keine Ferse, ein Standbein. Ein stabiles Rückgrat. Wie eine wohlgekrümmte Fußsohle, auf der man einen angenehmen, geerdeten Stand hat, sich fast verwurzelt fühlt mit dem Boden.
Darum frage ich mich, ob gute Texte in der Schule reichen. Ob man auf einem Stapel aus 8 Jahren Schultexten stabil und geerdet stehen kann, wurzeln schlagen kann, wenn der Professor, der einen jahrelang gehalten und gestützt hat, nicht mehr da ist, um Händchen zu halten. Ein bisschen wackelig ist der Stand schon noch, weil es so viele Zettel sind und Hefte, und der Boden so steinig ist. Ob der restliche Textmisthaufen mein Gewicht, meine Ferse trägt, wird sich erst zeigen, wenn ich länger darauf stehen, wachsen muss. Wenn sich zu viele Jemands auf meine Schultern setzten, dann versuche ich sie abzuschütteln, probiere, ob sie abzuschütteln sind, ohne dass ich das Gleichgewicht auf meinem Schreibberg verliere. Oder ob meine Ferse getroffen wird dabei, ich schwanke und aufgebe, stürze, ein niedriger Fall, entwurzelt und auf den Misthaufen geworfen.
Meine Mimose. Mein Schreiben. Mein „Jeder kann etwas“. Ich möchte es eigentlich behalten. Es und die Aussicht von meinem Schreibberg, meinem Textmisthaufen. Die gefällt mir nämlich und darum will ich noch höher, größer werden, um die Ferne besser erkennen zu können. Und wenn ich dabei auf einem Bein stehen muss, ohne gestützt zu werden, dann lerne ich es eben. Das Fernweh ist einfach größer.

Montag, 21. März 2011

Gedankentext. Ein Versuch.


 Begonnen hat alles mit einem Mann, der sich zielstrebig Richtung Tafel bewegt. Er spürt die Blicke, auf die er nicht reagiert, die sich allesamt fragen: Ist ER das? Der Professor, so genannt, mit dem ich dieses Semester hier verbringen darf, oder muss, je nach Auffassung. ER stellt sich als Tutoriumsleiter heraus, doch noch während er spricht, betritt noch jemand das Zimmer und die Erleichterung der Studierenden über sein Eintreffen ist spürbar, auch bei mir. Seine Körpersprache befremdet mich zunächst und ich kann ihn und es nicht einordnen. Ein bisschen zynisch spürt es sich an, ein bisschen autoritär, vielleicht auch herablassend. Als er mich dann erlösend aus meinen Gedanken darüber, was wohl kommt, reißt, indem er das Kommende einfach beginnt, haben zunächst einmal sogar die Gedanken das Denken eingestellt. Noch nie zuvor habe ich einen vergleichbaren Menschen getroffen. Verständlich, bei der Zahl an Menschen, die ich schon getroffen habe und noch treffen werde. Auch verständlich, weil ich mir keine Menschen vorstellen kann, die ich noch nicht getroffen habe. Und was er sagt ist befremdlich, aber je mehr ich mich in seinen Worten verliere, finde ich mich auch darin wieder. Ein Gefühl, verstanden zu werden und respektiert. Aber nicht wie von den vorigen Professoren, sondern mit dem Anspruch des eigenen Denkens und Produzierens und der Priorität des Wortes, des Textes, vor der Wissenschaft. Auch wenn es nach gesellschaftlicher Konvention peinlich ist, scheinbar ohne erkennbaren Grund für Außenstehende, die Mundwinkel nach oben zu ziehen, so kommt das doch von innen und ich kann nichts dagegen tun. In mir macht sich die Vorfreude auf das Schreiben breit, auf den Druck, schreiben zu müssen. Denn das ist schon eine Weile her und während ich vorher dachte, Texte müssten von selber fließen, wären situativ gebunden, dürften nicht korrigiert werden und entsprängen genau in dieser Unvollkommenheit dem kreativen Möchtegerngeist, hat SIE mich dann eines Besseren belehrt. Die erzwungen entstandenen und wieder und wieder korrigierten Texte in dieser Schreibwerkstatt waren die dichtesten, produktivsten und  trotzdem persönlichsten. Wenn ich nicht muss, schreibe ich viel zu wenig, musste ich leider erkennen und annehmen. Also grinse ich angesichts des wöchentlichen Textdrucks, obwohl ich mir bewusst bin, dass es wie mit allem im Leben ist und sein wird: Viel Mist und ein paar Genialitäten, um nur etwas zu übertreiben. Denn mein Textmist überlagert noch in seiner Fülle die kleinen genialen Strohhalme auf dem Textmisthaufen. Und höchstwahrscheinlich sind sie auch nicht einmal geniale Strohhalme, aber ohne dass jemand, dass der Möchtegerngeist und die Wäresogernseele, denen sie entsprangen, an ihre Genialität glaubt, wie sollen es dann andere? Und plötzlich bin ich aus meinen Tagträumen wieder in der temporären Realitätsillusion angekommen und meine Gedanken werden unterstrichen von dem Aufruf, kritisch zu sein. Und irgendwie auch aufmüpfig. Diese Autoritätskriecherei aufzugeben zugunsten des Textes, der eigenen Meinungen und Produktionen. Und schon wieder zieht es an meinen Mundwinkeln, es, das ich primitiv mit Freude bezeichnen würde, und kann gar nicht mehr aufhören zu ziehen, als ich die Ausführungen über Qualitätszeitungen höre. Diesmal zieht das Publizistinnenherz, die Literatinnenfreude hilft mit. Und dieses Ziehen in mir will noch lange nicht aufhören. Auch nicht, als ich die Uni schon längst verlasen habe, im Bus sitze, ganz vielen Mitmenschen von den Eindrücken erzählt habe und endlich auf der Matratze, dem Lieblingsort der schlafliebenden Vieldenker, um eine Denkpause zu erlangen, angekommen bin. Ein bisschen bin ich am nächsten Tag fast verwundert, keinen Muskelkater zu haben, vom vielen innerlichen Ziehen.

Montag, 28. Februar 2011

Von der Ubahn gefahren werden..

Treibst du in der Stadt oder treibtk die Stadt dich? Hast du dich jemals schon gefragt, ob du dich bewegst oder fremdbewegt wirst? Wenigstens die Gedanken sind frei, oder sind wir gar frei von Gedanken? Denkst du mehr als du gedacht wirst? Und hast du dir überlegt, wie es wäre dich zu befreunden statt befreundet zu sein? Weißt du wie es wäre, Aktivität mit Passivität zu tauschen, oder noch besser: umgekehrt?

Samstag, 26. Februar 2011

was altes ganz aktuelles..

 03.09.10
[Mein Männchenmacher]                                                                              

sternenstecher und männchenmacher
bauten in zimtzeiten und an teebuttertagen
zäh klebriges und schaumig gerührtes
zog die zunge von kurzen fingern
und daneben der geruch von hautcreme
frischer und gelebter zeit
weiche wolle umschloss die rosa haut
wenn die kleinen ärmchen
so viel wie fassbar
ergriffen
von dir
damals.
schnittlauchkopf wurde karottenschädel
der widerspricht und denkt und kritisiert
und der männchenmacher hat umgestellt
auf sparschweinemast
die geliebt süßliche erinnerung
ist ein ballon gefüllt mit zeit
je mehr desto höher
und weiter
und weg
bis er ihn nicht mehr greifen kann
der sternenstecher
und seine sterne
als laterne
mit den männchen
und ihrem macher
hinuntergehen
statt hinauf.